Gut vernetzt oder abgehängt – Altern in einer digitalen Welt

Der Minister für Wirtschaft, Digitales und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, Prof. Andreas Pinkwart stellte am 10. April 2019 im Landtag die Digitalstrategie des Landes Nordrhein-Westfalen vor. „Wir wollen Vorreiter werden und Nordrhein-Westfalen bis 2025 in die digitale Spitzengruppe führen“, postulierte Pinkwart: „Wir wollen die Digitalisierung Deutschlands von Nordrhein-Westfalen aus prägen und vorantreiben.“

Diese Kernaussage bedeutet, dass sich die Zivilgesellschaft mit allen ihren Gliederungen auf den von NRW ausgehenden Wandel elementarer Lebensverhältnisse in allen Bereichen einlassen und in täglichen Leben mitgestalten muss. Das gilt auch für die hochvulnerable Gruppe der älteren Menschen in unserem Bundesland und stellt gerade diese Gruppe vor zum Teil unüberwindbare Hindernisse.
Die Digitalstrategie unseres Bundeslandes nimmt drei Punkte auf, die für ältere Menschen besondere Bedeutung haben. Das sind

  • Bildung und Kultur – ein wichtiges Thema für die Teilhabe ältere Menschen am gesellschaftlichen Leben
  • Intelligente Mobilität für mehr Freiheit und Teilhabe – ausgesprochen wichtig für ältere Menschen
  • Gesund und selbstbestimmt leben – der Klassiker für ältere Menschen schlechthin!

Gerade diese Punkte haben Einzug in die einschlägigen Debatten gefunden. Jetzt müßte in diesen Bereichen die Umsetzung vor Ort angestoßen werden, mit dem Ziel Lösungen vor Ort zu erarbeiten, wie auch ältere Menschen über altersgerechte digitale Strukturen in den Wandel ihres Lebensumfeld eingebunden werden können.

Einige Beispiele für wichtige konkrete Handlungsoptionen, die in Projekten vor Ort zügig umsetzbar sind: wäre

  • Die Schaffung einer Online-Akademie, die den Zugang zu allen sozialen Medien und allen Online-Gestaltungsmöglichkeiten des täglichen Lebens nach Vorkenntnissen differenziert so vermittelt, dass auch ältere Menschen alle modernen digitalen Möglichkeiten nutzen können.
  • Eine Online-Plattform, die einen Überblick über Versorgungs-Möglichkeiten mit Fertig-Mahlzeiten gibt, die von Gaststätten vor Ort ins Haus geliefert werden können.
  • Ein zuverlässiger Lieferdienst nach Hause, der vor Ort eingekauften Waren, die ältere Menschen nicht alleine tragen können in den lokalen Geschäften abholt und nachhause bringt. Ein solches Angebot sollte auch digital geordert werden können.
  • Ausbaus von ärztlichen Video- oder Online-Sprechstunden

Einsamkeit eine große Herausforderung

Zu Coronazeiten entwickelte sich die Einsamkeit zu einem großen Problem. Das Internet kann fehlenden Kontakt zu weit entfernt lebenden Kindern oder Enkeln überbrücken helfen. Aber dazu reichte die Digitalkompetenz von Senior*innen oft nicht aus. Ältere Menschen wurden schlicht weg abgehängt. Im Jahr 2019 nutzte nur jeder dritte über 70-Jährige täglich das Internet, so eine Studie von ARD und ZDF. In der Corona-Krise wurde dieses Defizit Älterer plötzlich hochrelevant – Alleine zuhause und noch nicht einmal ein Videochat mit den Enkeln!
Diese strukturellen Defizite einer hochvulnerablen Personengruppe sind kaum in die öffentliche Wahrnehmung gelangt! Bei älteren Menschen stand vorrangig ihr gesundheitliches Risiko im medialen Focus.

Ältere Frauen im Sozialen Ehrenamt

Ein nennenswerter Teil der Aktivierungsangebote für ältere Menschen wird im Sozialen Ehrenamt geleistet und das in erster Linie von Frauen. Sie sind oftmals selber im fortgeschrittenen Lebensalter. Vor der Coronakrise war bei vielen ehrenamtlich tätigen älteren Frauen der Einsatz einer Videokonferenz ein rotes Tuch und ist allzu oft auf komplette Ablehnung gestoßen. Bereits nach rund 14 Tagen sozialer Isolation war gerade in dieser Personengruppe der Leidensdruck so groß geworden, dass ein Teil ehrenamtlich tätiger Frauen dies für sie neuen Möglichkeiten genutzt haben, um zumindest einen kleinen Teil an sozialer Nähe aufrecht zu halten. Über Videokonferenzen konnten sich ehrenamtliche Tätige gegenseitig unterstützen und über Mund-zu-Mund-Propaganda noch weitere Frauen motiviert werden, sich auf diese für sie zum Teil sehr große technische Herausforderung einzulassen.
„Der endgültige Durchbruch für diese neue digitale Möglichkeit war der 1. Mai.“ So berichtete eine ehrenamtlich tätige Seniorin. „Anstelle des traditionellen Tanz in den Mai wurde bei uns per Videokonferenz ein Singen in den Mai durchgeführt. Dieses digitale Angebot für uns Mitarbeiterinnen war so erfolgreich, dass wir als Gruppe uns entschlossen auch für die von uns betreuten älteren Menschen ein digitales Angebot anzubieten,“ strahlte sie. Wir wollten doch nicht , dass die von uns betreuten Senioren und Seniorinnen durch die soziale Corona-Distanzierung komplett abgehängt werde.“. Gut digital angenommen wurden Angebote wie Sitz-Tanz, gemeinsames Singen und das Vorlesen von Geschichten. Eine Teilnehmerin komponierte sogar eine eigene Hymne für eine Video-Konferenz.

Chancen von Digitalisierung auch nach Corona?

Eine nachhaltige Motivation der Teilnehmer und Teilnehmerinnen dieses Angebot auch langfristig anzunehmen schätze ich trotzdem als extrem schwierig ein. Viele älteren Frauen zeigten sich in der sozialen Distanzierung hochmotiviert, um über digitale Angebote noch in der Distanz am Leben teilhaben zu können. Allerdings verfügten ältere Frauen in der Fläche nicht über geeignete Endgeräte und auch nicht über die zum Bedienen des Links nötige digitale Kompetenz. Dennoch zeigte sich, dass gerade die älteren Frauen großes Interesse und eine hohe Lernbereitschaft entwickelten, um Zugang zu neuen digitalen Möglichkeiten zu bekommen. Für die Altenarbeit vor Ort ergibt sich daraus die Erkenntnis, dass Hilfsangebote für ältere Frauen durch aufsuchende Betreuung organsiert werden müssen. Die Scheu vor der Inanspruchnahme digitaler Angebote kann im ersten Schritt nicht durch die Bereitstellung digitaler Angebote und Schulungen über Bildungsträger überwunden werden. Diese Möglichkeiten sind erst dann Erfolg versprechend, wenn der erste schritt in die digitale Welt durch eine persönliche Unterstützung am eigenen Rechner am besten in gewohnter Umgebung erfolgt ist. Auch die familiären Unterstützungsmöglichkeiten sind hilfreich, aber oft allein nicht ausreichend, um die bestehenden Defizite auszugleichen.

Und die Männer ?

Abschließend interessant ist auch ein Blick auf ältere Männer. Viele Senioren hatten eine genauso rudimentäre technische Ausstattung und eine ebenso ungenügende digitale Kompetenzen wie viele Seniorinnen. Einigen älteren Männer fiel es sichtlich schwer, sich das einzugestehen und hier Hilfestellung von Frauen anzunehmen. Diesen Verhaltensunterschied kann mit zunehmendem Alter verstärkt beobachtet werden.

Bilder: © Pixabay / Gerd Altmann; Francesco Nigro

Autor: Elisabeth Thesing-Bleck

Elisabeth Thesing-Bleck brachte berufspolitisch in der Apothekerkammer Nordrhein eine neue zukunftsweisende Weiterbildungsmöglichkeit für Apothekerinnen und Apotheker auf den Weg, die „Geriatrische Pharmazie“. Sie nahm sie selbst am ersten Weiterbildungszyklus in Deutschland teil und wurde so zur „Geriatrischen Pharmazeutin“. Danach gründete die Fachapothekerin ihr Unternehmen ConceptionApo. Als freiberuflich tätige Referentin hat sie sich auf Fortbildungen mit geriatrischem Schwerpunkt spezialisiert. Die Seniorenexpertin schult vorzugsweise Pharmazeutisches Apothekenpersonal.

Kommentare sind geschlossen.

ConceptionApo